Besuch bei syrischen Flüchtlingen in Ceylanpinar (Serê Kaniyê) und Nusaybin (Nisêbîn)

Am 22. und 23. März hat sich eine von der Linkspartei unterstützte Delegation aus Hamburg und Celle über die Lage der Flüchtlinge in den beiden türkischen Grenzstädten Ceylanpinar und Nusaybin informiert. Die Bevölkerung beider Städte stellen hauptsächlich Kurden und Araber. Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Gleise der Bagdad-Bahn zur Grenze zwischen Syrien und der Türkei gemacht. Immer noch fährt die Bahn im Niemandsland zwischen den beiden Grenzzäunen, das in Ceylanpinar nur 50 bis 100 Meter breit ist (siehe http://goo.gl/kEhAO).

Ceylanpinar ist wie Nusaybin die Hälfte einer geteilten Stadt. Die syrische Hälfte heißt auf arabisch Ras al Ain und auf kurdisch Serê Kaniyê. Wir konnten sehen, wie die seit Jahrzehnten geteilten Familien und die Familien, die durch den aktuellen Krieg voneinander getrennt wurden, sich über die Grenze hinweg mit lautem Rufen unterhalten. Auf beiden Seiten der Grenze leben überwiegend Kurden, der syrische Teil wird als Westkurdistan bzw. Rojava, der türkische Teil als Nordkurdistan bzw. Bakur bezeichnet.
In der Gegend gibt es vom türkischen Staat betriebene Flüchtlingslager mit ca. 20.000 Menschen. Die miese Lage dort wurde durch die Proteste in den letzten Tagen verdeutlicht (Berichte u.a. in der Tagesschau). Ceylanpinar mit seinen 46.000 Einwohnern wird von der pro-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) verwaltet. Sie kümmert sich um ca. 1.000 Familien, also etwa 8.000 Menschen, die in der Stadt leben. Sie werden auf geeignete Gebäude verteilt, zum Teil Rohbauten. Wir haben uns zwei davon angeschaut. Eine große Familie lebt in einem Zimmer, auf vielleicht 14 bis 18 qm. Andere leben in Zelten auf Brachflächen in der Stadt. Vor einem Haus sprach eine Frau mit Kindern den Vertreter der BDP an. Sie ist auf ihrer Flucht bis in den Irak gekommen, jetzt braucht sie dringend eine Unterkunft. Der Vertreter der BDP antwortet, dass sie sich sehr bemühen, aber am Rande ihrer Kräfte sind. Er hatte bereits berichtet, dass es keinerlei Hilfe vom Staat für ihre Arbeit gibt. Dieser kümmert sich lieber publikumswirksam um die arabischen Bewohner auf der syrischen Seite. Dagegen kümmert sich die BDP entsprechend ihrer politischen Grundsätze um die Menschen ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft. Einmal am Tag bekommen die Familien ein warmes Essen von der Stadt, dazu gibt es Lebensmittelspenden. Es gibt keine internationale Hilfe, alles wird aus lokalen Mitteln finanziert. Ich bin erschüttert, dass eine kleine Spende von 700 Euro von einer Gruppe deutscher Ärzte besonders erwähnt wird. Wir übergeben auch einen kleinen Geldbetrag und versprechen, dass versucht wird über die Bundestagsabgeordneten der Linken etwas zu erreichen.
Über die Lage auf der syrischen Seite hat Martin Glasenapp von Medico International vor kurzem berichtet:
http://medico.de/themen/nothilfe/dokumente/nothilfe-in-zeiten-des-krieges-/4387/#Gal
Der Bürgermeister von Ceylanpinar erklärte, dass der Gouverneur die Grenze kontrolliert. Nur bei Gefechten auf der syrischen Seite wird sie geöffnet und manche dürfen herüberkommen, andere nicht. Einige Familien sind auch wieder zurückgegangen und teilweise mehrfach gewechselt. Die Gespräche mit den Flüchtlingen zeigen, dass sie auf eine schnelle Verbesserung der Lage und die Rückkehr in ihr altes Leben hoffen. Der Bürgermeister betont, dass ohne die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) auf der syrischen Seite Chaos herrschen würde. Islamistische Gruppen wie Al Nusra hatten in Serê Kaniyê/Ras al Ain mit Unterstützung der Türkei angegriffen und die syrische Armee wirft ab und zu Bomben gegen die “Freie Syrische Armee”. Der bekannte syrische Oppositionelle Michel Kilo hatte in der Stadt vor kurzem einen Waffenstillstand zwischen Islamisten und YPG vermittelt.
Fotos:
Gespräch mit Flüchtlingen in Ceylanpinar: http://goo.gl/U8Jjx
Gespräch mit einer geflüchteten Frau in Ceylanpinar (Foto von Aleksandra Kruk): http://goo.gl/URsMq
Unsere Delegation: http://goo.gl/iNyLO
Wir fahren weiter nach Nusaybin. Die Stadt hat 50.000 Einwohner. Der Teil auf der syrischen Seite ist Al Qamishli (kurdisch: Qamishlo), mit 500.000 Einwohnern die größte Stadt in den kurdischen Gebieten Syriens. In Nusaybin sind ca. 10.000 Flüchtlinge, 2.000 werden von der ebenfalls BDP-geführten Stadtverwaltung untergebracht und versorgt. Viele gehen auch zu ihren Familien auf der “türkischen Seite”. Die VertreterInnen der BDP (Foto: http://goo.gl/t6kO9) warnen vor einer menschlichen Katastrophe auf der syrischen Seite. Vor allem die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend, so würden neugeborene Kinder nicht richtig versorgt. Es droht die Verbreitung von Krankheiten, der “rote Punkt” sei erreicht. Einmal in der Woche schickt die Stadt 10 bis 15 LKWs über die Grenze, dies sei aber wie “Sand ins Meer schütten”. Da die Lage in den kurdischen Gebieten Syriens relativ ruhig ist, hat sich die Bevölkerungszahl dort seit Beginn des Krieges verdoppelt. Das Embargo gegen Syrien trifft diese Gebiete am härtesten.
Ulf Petersen
29.03.2013