Rojava-Selbstverwaltung gewährte türkischer Armee Korridor durch Kobani
Von Nick Brauns
Durch die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS) haben sich schon manche Gegner – darunter ehemalige Förderer der Terrormiliz – plötzlich auf derselben Seite der Barrikade wiedergefunden. Nun hat die türkische Armee mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) des kurdischen Selbstverwaltungsgebiets Rojava bei der Rettung der türkischen Wachmannschaft nebst alter Osmanenknochen aus dem 35 Kilometer tief in Syrien gelegenen, seit den 20er Jahren völkerrechtlich zur Türkei gehörenden Grabkomplex des Suleiman Schah kooperiert.
Das mag nun doch erstaunen. Schließlich war die Türkei bislang einer der Hauptförderer des IS während die YPG in Ankara als PKK-Ableger und damit „terroristische Vereinigung“ gelten. Inwieweit eine dritte Partei – die USA oder mit den YPG gegen den IS kämpfende Einheiten der Freien Syrischen Armee – hier vermittelt haben, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass der Verteidigungsminister des Kantons Kobani mehr als 500 türkischen Soldaten mit Dutzenden Panzern einen Korridor durch den inzwischen wieder weitgehend unter Kontrolle der YPG stehenden Selbstverwaltungskanton zum Euphrat gewährte. Hunderte YPG-Kämpfer sicherten die Durchfahrt der türkischen Kolonnen durch Kobani, dessen Fall der türkische Präsident Erdogan im vergangenen Herbst als unvermeidlich vorausgesagt hatte, ab. Für die YPG – darunter etliche frühere PKK-Kämpfer mit Kampferfahrung gegen die türkische Armee – war dies der reinste Triumph. Eine zentrale Forderung der Selbstverwaltung ist die Öffnung eines Korridors für humanitäre und militärische Unterstützung für Kobani. Diese Forderung bleibt auch nach der Befreiung der Stadt von größter Aktualität, denn bislang blockiert die Türkei die zum Wiederaufbau benötigten Baumaterialien und Baugeräte. Nach dem gewährten Korridor für die türkische Armee wird es für Ankara schwerer sein, den erbetenen Korridor für Kobani zu verweigern. Laut Berichten regierungskritischer türkischer Medien bewegte sich der Status der 40 Elitesoldaten, die seit 11 Monaten ohne Versorgung durch das türkische Mutterland inmitten des IS-Kalifats im Grabkomplex eingeschlossen gewesen sein sollen, zwischen dem von Gästen und Geiseln der Dschihadisten. Wären die Soldaten offiziell in die Hand des des IS geraten, hätte dies für Erdogan und seine AKP den Super-GAU vor der Parlamentswahl im Juni bedeutet.
Der Osmanen-Ahne soll jetzt 100 Meter von der türkischen Grenze auf syrischem Territorium westlich von Kobani begraben werden. Nächtliche Aufnahmen zeigten Soldaten beim Hissen der türkischen Fahne auf dem ein Hektar großen von ihnen besetzten Areal. Doch bei Tageslicht waren weitere Fahnen rund um den zukünftigen Grabkomplex zu erkennen: Fahnen der YPG, die dieses Gebiet vor zehn Tagen vom IS befreit hatte, und Bilder des in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Für das Führungsduo Erdogan-Davutoglu, das als erste Staatsführung seit dem Sturz des osmanischen Sultans Territorium preisgegeben hat, dürfte dies ein weiterer Schlag ins Gesicht sein. Für die Rojava-Selbstverwaltung entpuppt sich die Rettungsoperation für Suleiman Schah dagegen als geschickter Schachzug.
Die Räumung des Osmanengrabes ist im Übrigen im Interesse sowohl der Rojava-Selbstverwaltung als auch der – jetzt gegen die Verletzung ihrer Souveränität durch den nächtlichen Einmarsch protestierenden – syrischen Regierung. So tauchten im vergangenen Frühjahr geheime Mitschnitte einer vertraulichen Runde im Büro des damaligen türkischen Außenministers und jetzigen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu auf. Geheimdienstchef Hakan Fidan schlug damals vor, eine False-Flag-Operation gegen das Grab durchzuführen, um so einen Anlass für einen Militäreinmarsch in das Nachbarland zu liefern. Zumindest dieser Einmarschgrund ist jetzt vom Tisch – Ein Ende der von der Türkei unterstützten Aggression gegen Syrien bedeutet dies allerdings nicht, wie die geplante Ausbildung Tausender neuer Söldner gegen die Assad-Regierung zeigt.