Die AKP-nahe Zeitung Milliyet veröffentlicht Bilder von deutschen Leopardpanzern, die am Angriff auf Efrîn beteiligt sind.
ANF
Newsticker zu Afrin von Civaka Azad
German Foreign Policy, 22.01.2018
Eigener Bericht- Die Türkei nutzt bei ihrem Überfall auf die nordsyrische Region Afrin deutsche Panzer. Dies geht aus übereinstimmenden Berichten türkischer und kurdischer Medien hervor. Demnach handelt es sich um Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4, die Berlin zwischen 2006 und 2014 aus Beständen der Bundeswehr an die Türkei geliefert hat, ohne – wie bei früheren Panzerverkäufen – ihre Nutzung strikt auf Einsätze gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags zu beschränken. Unmittelbar vor dem Beginn des Überfalls hat die Bundesregierung durchsickern lassen, sie werde die Aufrüstung der Leopard 2A4 mit modernster Schutzausrüstung genehmigen. Der Auftrag soll von Rheinmetall durchgeführt werden und gilt als Einstieg in den Bau einer Panzerfabrik in Karasu an der Schwarzmeerküste östlich von Istanbul, in der ein Rheinmetall-Joint Venture den neuen türkischen Kampfpanzer Altay bauen will. Der Rheinmetall-Konzern hofft, von Karasu aus weitere Länder der Region beliefern zu können, ohne Rücksichten auf deutsche Rüstungsexportvorschriften nehmen zu müssen. Berlin schaut wohlwollend zu.
Im Angriffskrieg
Die Türkei nutzt bei ihrem Überfall auf die nordsyrische Region Afrin deutsche Panzer. Dies geht aus übereinstimmenden Berichten türkischer und kurdischer Medien hervor. Demnach haben die türkischen Streitkräfte, die am Wochenende Afrin zunächst mit Luftangriffen und Artilleriefeuer, anschließend auch mit Bodentruppen attackierten, auch Kampfpanzer des Typs Leopard 2A4 eingesetzt. Ziel der Operationen ist es, die syrisch-kurdische Selbstverwaltung der Region zu zerschlagen – parallel zu Ankaras brutaler Repression gegen kurdischsprachige Organisationen im eigenen Land. Die Türkei, die bereits 2016 zum ersten Mal nach Syrien einmarschierte, hält seit rund einem Jahr das Gebiet um die Orte Azaz, Al Bab und Jarabulus besetzt, um einen Keil zwischen Afrin und die weiter im Osten gelegene, gleichfalls kurdisch verwaltete Region Kobane zu treiben. Ergänzend attackiert sie jetzt Afrin selbst.[1] Bei ihrem Angriffskrieg stützt sie sich in großem Stil auf deutsche Waffen.
Kriegsschiffe, Kampfpanzer, Sturmgewehre
Tatsächlich zählt die Türkei traditionell zu den zentralen Abnehmern deutscher Rüstungsexporte, wenngleich ihr in den vergangenen Jahren arabische Staaten von Algerien über Saudi-Arabien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten den Rang abgelaufen haben.[2] Ankara hat neben Kriegsschiffen – U-Booten, Fregatten, Schnellbooten sowie Minenjagdbooten, die in der Türkei in Lizenz gefertigt werden – vor allem Panzer in der Bundesrepublik gekauft: Laut Angaben des Forschungsinstituts Bonn International Center for Conversion (BICC) entstammen von den knapp 2.500 Kampfpanzern des türkischen Heeres mehr als 720 deutscher Produktion. Dabei hat Berlin, wie das BICC berichtet, im Falle der rund 350 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A4, die von 2006 bis 2014 aus den Beständen der Bundeswehr an die türkischen Streitkräfte geliefert wurden, auf eine bis dahin übliche vertragliche Festlegung verzichtet, der zufolge die deutschen Panzer nur zur kollektiven Verteidigung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages genutzt werden dürfen.[3] In der Tat sind die Leopard 2A4 denn auch bereits in Syrien eingesetzt worden – bei Kämpfen gegen den IS. Neben den Panzern verfügt die Türkei über deutsche Schusswaffen, die sie in Lizenz produzieren darf; dazu zählen insbesondere die Sturmgewehre G3 und HK33, das Maschinengewehr MG3 und die Maschinenpistole MP5.
“Wohlwollend prüfen”
Hinzu kommt, dass die Bundesrepublik konsequent die optimale Funktionsfähigkeit der deutschen Kampfpanzer garantiert. So sind Berichten zufolge etwa im Januar 2017 Ersatzteile für die Leopard 2A4 in die Türkei geliefert worden.[4] Dem stand nicht entgegen, dass die türkischen Streitkräfte bei ihren Operationen in den Wohngebieten der kurdischsprachigen Minderheit zwischen Juli 2015 und Dezember 2016 immer wieder auch Panzer eingesetzt hatten. Die Operationen wurden von den Vereinten Nationen scharf kritisiert; laut dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte zerstörten die Streitkräfte während und nach erbitterten Kämpfen, bei denen mindestens 2.000 Menschen ums Leben kamen, mehr als 30 Städte und Stadtteile und trieben zwischen 355.000 und einer halben Million Bürger des eigenen Landes auf die Flucht.[5] Unmittelbar vor dem nun gestarteten Überfall auf die kurdische Region Afrin hat das Auswärtige Amt die Weichen für eine Modernisierung der türkischen Leopard 2A4 gestellt. Dabei geht es darum, deren Schutzvorrichtungen zu verbessern. Im Dezember 2016 hatten sich beim Einsatz des Kampfpanzers in Syrien empfindliche Schwachstellen gezeigt, die es dem IS ermöglichten, mehrere Panzer zu zerstören. Ankara hat im März 2017 beantragt, 100 Leopard 2A4 mit neuester Rheinmetall-Abwehrtechnologie ausstatten zu dürfen. Wie nun berichtet wird, hat Außenminister Sigmar Gabriel nach seinem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu am 6. Januar das Auswärtige Amt angewiesen, das Vorhaben auf die Tagesordnung der nächsten Rüstungsexport-Staatssekretärsrunde zu setzen und es “zu prüfen” – und zwar “wohlwollend”.[6]
Ankara schwimmt sich frei
Der Schritt gilt nicht nur deswegen als folgenreich, weil er den künftigen Spielraum des türkischen Heeres bei Operationen wie der aktuellen in Syrien deutlich vergrößert. Die Modernisierung der Leopard 2A4 wird von Beobachtern darüber hinaus als Vorbereitung für ein weitaus bedeutenderes Vorhaben eingestuft: für die Beteiligung von Rheinmetall am Bau einer Panzerfabrik in der Türkei. Hintergrund des Projekts ist, dass Ankara seine bisherige starke Abhängigkeit von der Rüstungsindustrie der NATO-Länder, insbesondere von derjenigen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik, systematisch zu verringern sucht. So hat es bereits 200 Kurzstreckenraketen des Typs B-611 in China gekauft und im vergangenen September einen Vertrag zur Beschaffung eines S-400-Luftabwehrsystems in Russland geschlossen. Panzer will es im eigenen Land bauen lassen. Dazu haben türkische Waffenschmieden einen Prototyp für den Kampfpanzer Altay entwickelt, der nicht zuletzt einen Dieselmotor von MTU (Friedrichshafen) und eine Rheinmetall-Glattrohrkanone nutzen soll. Das Verfahren zur Vergabe des Produktionsauftrags läuft zur Zeit. Als Favorit gilt der türkische Fahrzeughersteller BMC; die Firma gehört mehrheitlich dem Geschäftsmann Ethem Sancak, einem der reichsten Türken, der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eng verbunden ist.
Die Panzerfabrik für Nah- und Mittelost
BMC hat bereits ein Gelände in Karasu an der Schwarzmeerküste östlich von Istanbul erworben, auf dem Werke zum Bau unterschiedlicher Fahrzeuge errichtet werden sollen, darunter Panzer und weiteres Kriegsgerät. Die Firma hat allerdings keinerlei Erfahrung mit dem Panzerbau – und will daher mit Rheinmetall kooperieren. Rheinmetall wiederum hat im Oktober 2016 eigens das Joint Venture RBSS (Rheinmetall BMC Savunma Sanayi, Rheinmetall BMC Defence Industry) mit Sitz in Ankara gegründet, das den Bau der Kampfpanzer organisieren soll. Mit Blick darauf bringt der Auftrag zur Modernisierung der Leopard 2A4, dessen Volumen auf eine Viertelmilliarde Euro geschätzt wird, dem Düsseldorfer Konzern nicht nur einen attraktiven Gewinn, sondern zudem die Möglichkeit, erste Personalbestände für die Panzerfabrik aufzubauen.[7] Von dieser wiederum erhofft sich Rheinmetall umfangreiche Geschäfte. Bereits jetzt ist nicht nur davon die Rede, dass das Joint Venture 1.000 Altay-Kampfpanzer für die türkischen Streitkräfte bauen soll. RBSS hofft darüber hinaus auf einen Auftrag zur Herstellung von bis zu 1.000 weiteren Kampfpanzern für das Emirat Qatar. Hintergrund ist, dass das Industriekomittee der qatarischen Streitkräfte mit fast 50 Prozent an der türkischen BMC beteiligt ist, die wiederum dem Joint Venture RBSS angehört. Dritter RBSS-Partner ist das Unternehmen Etika Strategi des Milliardärs Syed Mokhtar Albukhary aus Malaysia.[8] Ob es mit dessen Hilfe gelingen kann, den Verkauf von Altay-Panzern auch nach Südostasien zu vermitteln, ist unklar.
Polit-ökonomische Interessen
Die Bundesregierung stellt dem Bau der Panzerfabrik keinerlei Hindernisse in den Weg. “Es war immer unsere Linie, die deutsche Regierung über unsere Pläne zu informieren”, bekräftigt Andreas Schwer, ein bei Rheinmetall führend mit dem Deal befasster Manager: “Wir tun nichts hinter ihrem Rücken.”[9] Schwer leitet seit Dezember 2017 die neue saudische Waffenschmiede SAMI (Saudi Arabian Military Industries), mit der auch Saudi-Arabien sich größtmögliche rüstungsindustrielle Eigenständigkeit sichern will.[10] Tatsächlich verhilft die Beteiligung von Rheinmetall an der Altay-Produktion nicht nur der deutschen Waffenschmiede zu einer besseren Weltmarktposition – sie trägt auch dazu bei, die Anbindung der Türkei an Deutschland punktuell zu festigen und so ihre Umorientierung nach Russland und China ein wenig zu bremsen. Rheinmetall ist mit der Berliner Politik eng verbunden: Cheflobbyist des Konzerns ist Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), dem Aufsichtsrat gehört Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) an.
[1] Nick Brauns: Krieg um Afrin. junge Welt 22.01.2018.
[2] S. dazu Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (I), Waffen für Ägypten und Man schießt deutsch.
[3], [4] BICC Länderinformation Türkei. Dezember 2017.
[5] Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in South-East Turkey. July 2015 to December 2016. February 2017.
[6] Bundesregierung will Aufrüstung türkischer Leopard-Panzer genehmigen. spiegel.de 19.01.2018. S. auch “Härtefälle” und Rüstungsexporte.
[7] Hans-Martin Tillack: Panzerlobby kann auf Türkei-Deal hoffen. stern.de 18.01.2018.
[8] Margherita Bettoni, Frederik Richter, Hans-Martin Tillack: Deutsche Panzer für Erdogan. correctiv.org 09.03.2017.
[9] Margherita Bettoni, Frederik Richter, Hans-Martin Tillack: Wie Rheinmetall den Bau von Panzern in der Türkei einfädelt. correctiv.org 03.08.2017.
Quelle: German Foreign Policy
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7508/