Aufruf: Rojava – die Verwirklichung (oder: der Beginn) der Syrischen Revolution

In drei nördlichen Regionen des Staatsgebiets von Syrien – von den dort lebenden Kurd_innen als Rojava (West-Kurdistan) bezeichnet – vollzieht sich eine Entwicklung, die dem Trend im restlichen Syrien entgegengesetzt ist und große Hoffnungen auf tatsächlichen Frieden, Demokratie und Toleranz unter den Bevölkerungsteilen weckt.
Im Sommer 2012 beginnend haben der Volksrat Westkurdistans, der von der größten kurdischen Partei PYD und weiteren kurdischen Parteien und Organisationen auf Grundlage von rätedemokratischen Strukturen aufgebaut wurde, und die ihm unterstellten Volksverteidigungskräfte (YPG) schrittweise bis heute die meisten ihrer Gebiete befreit. Zum ersten Mal entzogen sich die seit der Gründung der „Arabischen Syrischen Republik“ unterdrückten Kurd_innen dem staatlichen Verfolgungsapparat. Während sie zunächst die Armee und Polizei in einem Massenaufstand ohne großes Blutvergießen vertrieben, mussten sie ab Ende 2012 gegen die stärker währenden Al-Qaida Organisationen Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) und Al-Nusra kämpfen. Deren Angriffe gegen Rojava wurden und werden bis heute nach langen intensiven Kämpfen erfolgreich abgewehrt. Auch die in den betroffenen Gebieten wohnenden nicht kurdischen Bevölkerungsgruppen beteiligten sich an der Befreiung und Verteidigung auf gleichberechtigter Basis. Insbesondere die christlichen Assyrer_innen und Armenier_innen, aber auch die Turkmen_innen, Tscherkess_innen und viele Araber_innen erkannten, dass sie sich nur so vor den sie umgebenden Terrorgruppen der Al-Qaida schützen und eine gemeinsame demokratische und gleichberechtigte Zukunft aufbauen können.
Nach über einem Jahr positiver politischer Entwicklungen wurde im Herbst 2013 von etwa 50 Organisationen gemeinsam der Aufbau einer Selbstverwaltungsstruktur angekündigt. Die sog. „Demokratische Autonomie“ basiert demnach auf den Prinzipien der Geschwisterlichkeit aller Bevölkerungsgruppen von Rojava, demokratisch-sozialen Strukturen und der Geschlechtergleichberechtigung. Kurdisch, Assyrisch und Arabisch wurden gleichberechtigt als Amtssprachen akzeptiert und eine Geschlechterquote von 40 % eingeführt. Im Frühjahr 2014 sollen in freien und demokratischen Wahlen die Parlamente dieser drei Regionen – auch Kantone genannt – gewählt werden. Diese Selbstverwaltungsstruktur versteht sich als Teil eines demokratischen Syriens und distanziert sich sowohl vom Baath-Regime als auch von den nationalistisch-islamistischen Oppositionsgruppen. Sie geht einen „Dritten Weg“ in Syrien, welches zu einem Schlachtfeld von Interessen globaler Mächte und regionaler Staaten geworden ist.
Jedoch wird die für den Mittleren Osten einmalige demokratische Entwicklung von fast allen regional und international am Konflikt beteiligten Staaten ignoriert, wenn nicht gar bekämpft. Entgegen allen Beteuerungen streben die westlichen und reaktionären arabischen Staaten einen Austausch von Präsident Assad gegen eine von ihr abhängige Marionettenregierung an. An einer demokratischen Selbstbestimmung der syrischen Bevölkerung haben sie kein Interesse. So verwundert es nicht, dass Vertreter der Selbstverwaltungsstruktur Rojava’s nicht zu den Genf 2 Gesprächen im Januar 2014 eingeladen wurden. Die deutsche Bundesregierung unterstützt diesen Kurs im Rahmen ihres Engagements innerhalb der sich als „Freunde Syriens“ bezeichnenden Staatengruppe vorbehaltslos. Allen voran unternimmt der türkische Staat alles, um Einfluss in Syrien zu erlangen und das Modell „Demokratische Autonomie“ in Rojava zum Scheitern zu bringen. Er möchte verhindern, dass die Kurd_innen in Syrien/Rojava irgendwelche kollektiven Rechte erhalten, die den Kurd_innen im eigenen Land Auftrieb geben könnten. So versorgte die Türkei in Kooperation mit Saudi-Arabien und Katar nach dem beginnenden Aufstand in Rojava viel intensiver die ISIS und Al-Nusra mit Waffen, Logistik und Ausbildung. Diese griffen insbesondere ab Juli 2013 alle drei Gebiete von Rojava mit Tausenden Kämpfern an und scheuen keine Greuel. Der Höhepunkt war ein Massaker in zwei kurdisch bewohnten Orten bei Aleppo, wo im August 2013 etwa 70 Zivilisten brutal hingerichtet wurden. Die Belagerung hält trotz Rückschlägen an und ist verbunden mit einem Lebensmittelembargo und dem Abschneiden der Wege zwischen den räumlich nicht verbundenen Gebieten unter kurdischer Selbstverwaltung. Militärisch wird das türkische Grenzgebiet zu Syrien als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet der oben genannten Al-Qaida Gruppen durch deutsche Patriot-Raketen abgesichert.
Parallel dazu hat die Türkei die Grenzen zu den drei selbstverwalteten Gebieten in Syrien geschlossen und ein Embargo verhängt, während gleichzeitig die Grenzübergänge in die anderen Teile Syriens geöffnet sind. Mehr als beschämend ist das Schließen des Grenzübergangs nach Süd-Kurdistan (Irak) durch die konservative Kurdistan Regionalregierung unter Barzani. Diese arbeitet mit der Türkei und dem Westen, einschließlich der BRD, zusammen und möchte die politische Entwicklung in Rojava im Sinne eines kurdischen Nationalismus dominieren. Der „Hohe Kurdische Rat“, der im Juli 2012 In Erbil unter Einbeziehung Barzani naher Kräfte als politische Vertretung Rojava’s gegründet wurde, wird heute von der kurdischen Regionalregierung im Irak offen sabotiert. Der sich in ganz Syrien verschärfende Krieg führte unter anderem dazu, dass mehr als 1,35 Mio. Menschen nach Rojava geflüchtet sind. Dieser Zustrom hat die Ernährungs- und insbesondere die Gesundheitsversorgungslage sehr verschärft. Dank eines solidarischen Gesundheitssystems konnte eine Katastrophe verhindert werden. Aber der Bedarf nach Medikamenten und Babynahrung ist nach wie vor sehr groß. An diesem Punkt könnte eine internationale Spendenkampagne sehr unterstützenswert sein.
Unsere Forderungen lauten:

    Stopp aller deutschen Waffenlieferungen an die Türkei, welche Terrorgruppen in Syrien aktiv unterstützt!
    Aufhebung des Embargos der Türkei gegenüber Rojava!
    Einbeziehung des „Hohen Kurdischen Rates“ und demokratischer syrischer Oppositionsgruppen in politische Gespräche über eine friedliche Lösung!
    Solidarität mit der Selbstverwaltungsstruktur in Rojava, welches ein Modell für einen demokratisch-friedlichen Übergang in Syrien darstellt!

Wir rufen alle Menschen in Deutschland und Europa auf, folgende Projekte durch Spenden zu unterstützen:

„Für den Wiederaufbau der Heyva-Sor-Zentrale in Kobane“
Kurdistan Hilfe e.V.
Spendenkonto: (IBAN: DE40200505501049222704)
Stichwort: Rojava
Hamburger Sparkasse
BLZ: 20050550 (BIC: HASPDEHHXXX)
“Das kurdische Rojava braucht Hilfe in der Not”
medico international und Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Spendenkonto: 1800 (IBAN: DE21 5005 0201 0000 0018 00)
Stichwort: Rojava
Frankfurter Sparkasse
BLZ 500 502 01 (BIC: HELADEF1822)
Kampagne Tatort Kurdistan, April 2014