Appell an die Bundesregierung, den Krieg in Kurdistan zu stoppen
Seit Juli dieses Jahres hat die türkische Regierung ihre Friedensgespräche mit dem politischen Repräsentanten der kurdischen Bewegung, Abdullah Öcalan, abgebrochen und ist zur Bekämpfung der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zurückgekehrt. Seitdem herrscht mit zunehmender Gewalt Krieg im Südosten der Türkei/Nordkurdistan. Was als Bürgerkrieg in den deutschen Medien dargestellt wird, ist in Wahrheit ein Angriff des türkischen Militärs gegen die kurdische Bevölkerung mit allen Mitteln. Seit Monaten werden die kurdischen Städte in Nordkurdistan mit schweren Kriegswaffen belagert. Mit Panzern, Kampfhubschraubern, einem breiten Aufgebot von Soldaten, Spezialkräften und Polizisten greifen die türkischen Kampfeinheiten die kurdische Zivilbevölkerung in mehr als 17 Ortschaften, u.a. Cizre, Nusaybin, Sur, Mardin und Sirnak an. Eine totale Ausgangssperre ist über diese Orte verhängt worden.
Bis Anfang Dezember fielen den Angriffen von Militär und Polizei über 500 Menschen zum Opfer mit permanent ansteigender Zahl. Allein drei Selbstmordattentate in Diyarbakir, Suruc und Ankara kostete 138 Menschen das Leben und 929 wurden verletzt. Ziel der Attentate waren Versammlungen der HDP oder Demonstrationen der Opposition. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker der Opposition sowie Journalistinnen und Journalisten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind in Haft genommen worden. Die Folter, die nie aufgegeben worden war, wird unter der Aufsicht der Sicherheitskräfte in den Internierungslagern, Gefängnissen und Militärbaracken weiter ausgedehnt und verschärft. Während der ersten elf Monate des Jahres 2015 wurden über 560 Fälle von Folter berichtet, ohne dass die Folterer zur Rechenschaft gezogen würden.
Während der jüngsten Großoffensive in der Provinz Sirnak nahe der syrischen Grenze mit dem Einsatz von über 10 000 Soldaten und Spezialkräften der Polizei äußerten Staatspräsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu, dass der Krieg gegen die Kurden solange fortgeführt werde, bis die PKK „vernichtet“ und die Städte „gesäubert“ seien. Über 100 Menschen fielen den Angriffen in der letzten Woche zum Opfer, über 200 000 Menschen sind derzeit auf der Flucht.
Ein solcher Krieg in einem NATO-Staat ist nicht tragbar. Es ist eine ungeheuerliche Provokation, dass ein Staat, der um die Aufnahme in die EU nachsucht, gleichzeitig ein Volk in seinen Grenzen mit Gewalt und Krieg bekämpft. Die kurdische Frage in der Türkei lässt sich nicht mit Gewalt, sondern nur mit politischen Verhandlungen lösen. Hier sind vor allem die Staaten der NATO und der EU in ihrer Verantwortung für einen gegenwärtigen oder zukünftigen
Mitgliedsstaat gefragt.
Wir fordern daher die Bundesregierung dringend auf, ihren ganzen Einfluss bei der türkischen Regierung geltend zu machen und Druck auf sie auszuüben, die militärischen Angriffe sofort einzustellen und die Friedensgespräche mit Abdullah Öcalan für eine Friedenslösung wieder aufzunehmen.
Dazu ist es notwendig, die PKK von der Terrorliste zu nehmen, um einen echten Dialog für eine ernsthafte Friedenslösung zwischen der türkischen Regierung und dem kurdischen Volk zu ermöglichen.
Dezember 2015
Prof. Dr. Elmar Altvater, Berlin
Prof. Dr. Ulrich Gottstein – Ehrenvorstandsmitlied IPPNW
Dr. Angelika Claußen – IPPNW
Dr. Sabine Farrouh – IPPNW
Dr. Matthias Jochheim – IPPNW
Dr. Manfred Lotze – IPPNW
Ra Dr. Otto Jaeckel, Vorsitzender IALANA, Berlin
Reiner Braun, Geschäftsführer IALANA, Berlin
Ra’in Heike Geisweid – Vorsitzende MAF-DAD
Ra Thomas Schmidt, Generalsekretär der EJDM, Düsseldorf
Rolf Becker, Schauspieler
Prof. Dr. Andreas Buro – Friedensforscher & Menschenrechtler
Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Osnabrück
Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg
Prof. Dr. Werner Ruf, Kassel
Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt/Publizist, Bremen
Clemens Ronnefeldt – Internationaler Versöhnungsbund